
Philipp Oswalts “Bauen am nationalen Haus – Architektur als Identitätspolitik” öffnet einem die Augen und ist ein Buch, dass wir schon vor fünf Jahren benötigt hätten. Oswalt zeichnet in groben Strichen, wie sich die Erinnerungsdebatten in den letzten Jahrzehnten verschoben haben. Wobei sich bei der Lektüre die Frage stellt: Sind das noch Debatten?
«Heute soll vieles schön restauriert werden. Die Urheber verfolgen dabei eine eigene Agenda. Sie zielen auf eine Restauration des Geistes durch die Restauration von Gebäuden»
Vielmehr erleben wir eine “Walt-Disneyisierung” zentraler Orte unserer Republik. Sei es die Überbauung der ehemaligen Frankfurter Altstadt mit Fachwerkbeton und dazugehöriger Wohnbausubventionierung der gehobenen Klassen oder die Wiederherstellung von Preußens Glanz und Gloria in Berlin und Potsdam. Was vordergründig als Restauration von Bauten daherkommt, ist Vehikel für die Restauration im politischen Sinne.
Wie es besser geht und wie man versucht das Rad zurückzudrehen macht der Autor an den Beispielen der “Dessauer Meisterhäuser” und der “Paulskirche” deutlich. Durch die Kontrastierung und die Debatten darüber zeigt er auf, wie sehr sich die Debatten verschoben haben.
«Wohnungsbauförderung für Reiche. 9.000 Euro pro Quadratmeter für Wohnen hinter der Kitschfassade»
Es ist Oswalts Verdienst, dass offen zutage tritt, dass die Frankfurter Bevölkerung die Wohnungen in der Frankfurter Altstadt mit 9.000 Euro den Quadratmeter subventioniert. Dennoch muss man noch zusätzlich 5.000 bis 7.000 Euro den Quadratmeter aufbringen, wenn man da einziehen will. Abschottung durch Preis.
Garnisonskirche in Potsdam, Stadtschloss in Berlin oder Frankfurter Altstadt stehen für fotorealistisches Bauen. Dabei wird ausgeblendet, was zum Verlust dieser Bausubstanz gehörte und es wird etwas restauriert, was so nie bestand.
«Restauration wird zum Vehikel, um demokratische und kirchliche Vertreter*innen vor den reaktionären Karren von Preußentum und Staatskirche zu spannen»
Stattdessen wird eine Vergangenheit wieder hergestellt in Form von Bauten und wenn man sich die gut recherchierten Beispiele anschaut, sollen den Bauten die Gedanken folgen. Politiker*innen demokratischer Parteien und die evangelische Kirche werden durch diese Restaurationsvorhaben vereinnahmt und lassen sich vereinnahmen. Die Protagonisten, die dargestellt werden, gehören zum Umfeld des Rechstextremismus in Deutschland.
Darüber hinaus stellt keiner mehr die Frage, auf welches Preußentum hier rekuriert wird. Das Preußentum des Aufklärers, Friedrich des Großen, oder das protestantische Preußentum des Wilhelminischen Zeitalters? Spoiler: Um Aufklärung geht es den Protagonisten der Restauration nicht.
Das Buch ist auch für Menschen ein Gewinn, die sich nicht mit Architektur beschäftigen. Besonders Menschen, die sich mit dem Erstarken der Rechten auseinandersetzen wollen, finden hier eine anregende Lektüre.